beziehungsweise 3/2025Artikel 1

Das Prinzip Schuld

Perspektiven auf Scheidungsrecht und Scheidungspraxis in Österreich

Von Eva-Maria Schmidt und Jakob Bögner 

Dieser Beitrag fasst die zentralen Ergebnisse einer interdisziplinären Studie zusammen, die Sichtweisen und Erfahrungen von Familienrichter:innen, Berater:innen, Mediator:innen sowie geschiedenen Männern und Frauen (n = 33) entlang des österreichischen Scheidungsrechts und in Bezug auf die Rechtspraxis in Österreich mittels Fokusgruppen erhoben und inhaltsanalytisch ausgewertet hat. Der Fokus dieses Beitrags liegt auf dem Verschuldensprinzip und die daran gekoppelten Scheidungsfolgen (Schmidt 2024).

Verschuldenstatbestand
Im österreichischen Scheidungsrecht hat das Zerrüttungsprinzip das Verschuldensprinzip über die letzten Jahrzehnte zwar stark zurückgedrängt, doch ist mit § 49 Ehegesetz (EheG) ein wesentliches Verschuldenselement erhalten geblieben. Demnach ist zur Scheidung berechtigt, wessen Ehepartner:in durch eine schwere Eheverfehlung oder durch ehrloses oder unsittliches Verhalten die Ehe schuldhaft so tief zerrüttet hat, dass die Wiederherstellung einer ihrem Wesen entsprechenden Lebensgemeinschaft nicht erwartet werden kann. Die schwere Eheverfehlung berechtigt jedoch nur zur Scheidung, wenn sie für die Ehezerrüttung kausal war (Wagner 2022: 75). Die große Bedeutung des Verschuldensprinzips zeigt sich vor allem an den Scheidungsfolgen. Die wesentlichste Folge ist der nacheheliche Unterhalt nach § 66 EheG. Er erfüllt die Funktion der Sanktionierung ehelicher Pflichtverletzungen (Kerschner, Sagerer-Forić und Schoditsch, Rz 2/98) und ist Ausdruck der nachehelichen Solidaritätspflicht. Zudem ist der Verschuldensausspruch für die sozialversicherungsrechtliche Hinterbliebenenversorgung relevant.

Weitere Scheidungsgründe
Daneben kennt das Eherecht noch weitere – objektive, auf dem Zerrüttungsprinzip basierende – Scheidungsgründe. Zentral ist jener der Auflösung der häuslichen Gemeinschaft für drei Jahre (§ 55 EheG). Daneben existieren noch die Scheidungsgründe der ansteckenden oder ekelerregenden Krankheit und des aufgrund einer psychischen Erkrankung nicht subjektiv vorwerfbaren ehezerrüttenden Verhaltens (§§ 50 und 52 EheG). 

Neben der streitigen Scheidung besteht die Möglichkeit der Scheidung im Einvernehmen (§ 55a EheG). Dabei sind sich beide Ehepartner:innen über die unheilbare Zerrüttung der Ehe und die Scheidungsfolgen einig, und es muss die eheliche Lebensgemeinschaft für ein halbes Jahr aufgehoben sein. Kann kein Einvernehmen erzielt werden, haben Ehepartner:innen in der Regel nur die Möglichkeit, zumindest drei Jahre bei aufgehobener ehelicher Lebensgemeinschaft zu warten oder ein Verschulden der beziehungsweise des Anderen an der Ehezerrüttung zu beweisen. Wer eine schnelle Scheidung wünscht, aber kein Einvernehmen mit dem beziehungsweise der Anderen findet, wird sich damit auf die rückblickende Suche nach Eheverfehlungen des beziehungsweise der Ehepartner:in machen.

Statistische Relevanz
Im Jahr 2023 wurden in Österreich 14.721 Ehen geschieden. Die Gesamtscheidungsrate ist mit 36 % deutlich unter dem Durchschnitt des 21. Jahrhunderts. Mit 86 % erfolgt die überwältigende Mehrheit aller Scheidungen im Einvernehmen der Ehepartner:innen. Die streitigen Scheidungen erfolgen mit insgesamt 7,4 % aller Scheidungen mehrheitlich aufgrund von schweren Eheverfehlungen (§ 49 EheG), nur 4,6 % aller Scheidungen entfallen auf den Grund der Trennung der häuslichen Gemeinschaft (§ 55 EheG). Damit wird eine hohe praktische Bedeutung des Verschuldensprinzips deutlich: Paare, die keine einvernehmliche Lösung erzielen können, stützen ihre Scheidungsklage zum Großteil auf ein Verschulden des beziehungsweise der Anderen. Die Alternative des (zumindest) dreijährigen Zuwartens in häuslicher Trennung ist praktisch nur von untergeordneter Bedeutung.

Empirische Erkenntnisse
Vor diesem Hintergrund konzentrierte sich die vom Bundesministerium für Justiz geförderte sozialwissenschaftliche Studie "Die ‚gute‘ Scheidung" mit einem multiperspektivischen Fokus auf die Scheidungspraxis und Scheidungsfolgen im österreichischen Rechtssystem und ergründete, welches kollektive Verständnis über eine möglichst ‚gute‘ Scheidung besteht. Dafür diskutierten 33 Personen aus drei Personengruppen (geschiedene Frauen und Männer, Berater:innen und Mediator:innen, sowie Familienrichter:innen, vgl. Tabelle) aus ganz Österreich im Rahmen von Fokusgruppen ihre Erfahrungen und Vorstellungen. Die Daten wurden inhaltsanalytisch ausgewertet.

Fokusgruppe FG1 – FG3:
geschiedene Frauen und Männer

(ID, Alter, Kinder im Haushalt)
Fokusgruppe FG4 + FG5:
Berater:innen

(ID, Alter, beschäftigt in ...)
Fokusgruppe FG6 + FG7:
Richter:innen

(ID, Alter, beschäftigt in ...)
FA, 63 J, keine Kinder im Haushalt (iH)
FB, 53 J, keine Kinder iH
FC, 43 J, Kinder iH
FD, 62 J, keine Kinder iH
FE, 49 J, Kinder iH
FF, 55 J, keine Kinder iH
FG, 50 J, Kinder iH
FH, 55 J, Kinder iH
FI, 62 J, keine Kinder iH
FJ, 49 J, Kinder iH
FK, 47 J, keine Kinder iH
MA, 44 J, keine Kinder iH
MB, 68 J, keine Kinder iH
MC, 57 J, keine Kinder iH
MD, 44 J, Kinder iH
MI, 64 J, keine Kinder iH
BA, 48 J, Sozial- und Frauenberatung
BB, 54 J, Mediation/ Psychologie
BC, 37 J, Notariat
BD, 43 J, Elternberatung
BE, 79 J, Familienberatung/ Psychotherapie
BF, 37 J, Rechtsberatung
BG, 50 J, Mediation
BH, 73 J, Rechtsberatung, Mediation
BI, 56 J, Rechtsberatung, Mediation
BJ, 68 J, Rechtsberatung, Mediation

RA, 51 J, kleinstädtisches Gericht
RB, 44 J, kleinstädt. Gericht
RC, 45 J, großstädt. Gericht
RD, 42 J, großstädt. Gericht
RE, 58 J, großstädt. Gericht, Mediation
RF, 47 J, mittelstädt. Gericht
RG, 62 J, kleinstädt. Gericht

Tabelle: Stichprobe der qualitativen Studie "Die ‚gute‘ Scheidung"
Quelle: Schmidt 2024

Rechtswissen und Scheidungspraxis
Die Ergebnisse belegen zunächst, dass Ehen scheinbar selten mit umfänglichem Wissen über eheliche Pflichten und mögliche Folgen einer Scheidung geschlossen werden. Mangelndes Wissen besteht auch über die hohe Relevanz von geschlechtsspezifisch markant ungleicher Aufteilung der materiellen und immateriellen Versorgungs- und Beistandspflicht in Ehen, vor allem in jenen mit Kindern. Auf diese Ungleichheit trifft das Scheidungsrecht, soll diese dann ausgleichen oder setzt diese fort. Ein Familienrichter beschreibt dies mit folgenden Worten:

"Wenn eine Partnerin ein Kind bekommt, und man ist noch nicht verheiratet, was ist dann rechtlich gscheider, heiraten oder nicht? Der Jurist sagt dann, es kommt drauf an, wenn mich das mein Sohn fragt, sag ich, lass das lieber bleiben, wenn mich meine Tochter fragt, sag ich jedenfalls heiraten. Und allein daran sieht man schon, dass es da eine gewisse Schieflage gibt, die daran hängt, dass wir so eine komische Rollenverteilung haben." (RG in FG7)

Für Scheidungsverfahren werden in allen Fokusgruppen Gerichte und Richter:innen in ihrer rahmengebenden Funktion betont, Anwält:innen vorwiegend in ihrer Bedeutung für Eskalation oder Deeskalation thematisiert. Ihrer Parteilichkeit wird die Allparteilichkeit von Mediation gegenübergestellt, die als für beide scheidungswilligen Partner:innen gute und auszubauende Möglichkeit der Auseinandersetzung mit einem Eheende angesehen wird. Negative Emotionen, Eheverfehlungen, Schuldzuweisungen und Themen wie "Gerechtigkeit oder Fairness" (BB in FG4), die sowohl Frauen als auch Männer häufig thematisierten, würden im Setting einer Mediation besser bearbeitet werden können als im gerichtlichen Scheidungsverfahren. Eine teilnehmende Beraterin beschreibt die Bedeutung von Mediation im Scheidungsprozess so:

"In der Mediation aber [kann man] wirklich an den Bedürfnissen, an den Beweggründen arbeiten, da ist einfach bei Gericht kein Platz dafür, […] und ich hab auch die Erfahrung gemacht, dass dann doch Lösungen [kommen], mit denen die ehemaligen Ehepartner besser leben können.“ (BH in FG5)

In der Mediation gefundene Lösungen sind per definitionem "von den Parteien selbst verantwortet" (§ 1 Zivilrechts-Mediations-Gesetz – ZivMediatG) und nicht von einer Instanz diktiert. Sonderbestimmungen des seit über 20 Jahren bestehenden Zivilrechtsmediations-Gesetzes spielen im Scheidungskontext eine wichtige Rolle. So hemmt der Beginn und die gehörige Fortsetzung einer Mediation gemäß § 22 des zitierten Gesetzes etwa den Anfang und Fortlauf der Verjährung und sonstiger Fristen, unter anderem auch die Frist zur Erhebung der Scheidungsklage wegen Verschuldens gemäß § 57 Abs 1 EheG. Scheidungsmediation wird überdies – sozial gestaffelt – vom Bund gefördert, um auch einkommensschwachen Familien den Zugang dazu zu ermöglichen (§ 39c Familienlastenausgleichsgesetz – FLAG).

Das Prinzip Schuld

Dass jede Partei den Antrag auf einvernehmliche Scheidung jederzeit bis zum Eintritt der Rechtskraft des Scheidungsbeschlusses zurücknehmen und eine Scheidungsklage mit Beweisen zur Schuld des anderen einreichen kann, war für die geschiedenen Diskutant:innen ein ständiger Begleiter in ihren Scheidungsverfahren: ein "Drohszenario" (MC in FG3), das "unheimlichen Druck" und "Angst" erzeugt, die "immer da ist" (FG in FG2). Die jederzeit mögliche Scheidungsklage als "Kriegserklärung" (MI in FG3; RF in FG7), ihre Ursachen und ihre Folgen wurden intensiv und auch kontrovers diskutiert.

Aus Perspektive der Richter:innen würden manche Parteien aus "Furcht" vor dem "Gespenst der strittigen Scheidung" (RC in FG6) zwar manchmal doch einer einvernehmlichen Lösung zustimmen, andere jedoch würden sich im Fall einer strittigen Scheidung "gegenseitig nahezu an die Zerstörung bringen" (RG in FG7). Die Diskussionen sowohl unter Frauen als auch Männern, die ein streitiges Verfahren erlebt haben, zeugen eindrücklich von dem Kampf um das im Verfahren zu fällende Urteil über die Schuld, von den Kränkungen, dem Groll und der Resignation, von den Bemühungen, die Schuld der anderen Partei zu beweisen oder die eigene Schuld abzuwenden, aber auch von dem Hadern mit einem Urteil oder der Entscheidung gegen eine Scheidungsklage, wie beispielsweise diese Frau berichtet:

"Ich empfinde es als großen Fehler, dass ich nicht auf böswilliges Verlassen geklagt hab [...] zuerst haben wir Scheidung erst nach drei Jahren von Tisch und Bett getrennt gemacht, da wollte er mich auch mit nichts abspeisen, dann hat er das umgewandelt und hat gesagt, ich bin allein dran schuld, und ich war jetzt sechs Jahre nur damit beschäftigt, Dreck, der auf mich geworfen wurde, abzuwehren. Und dabei bin ich eigentlich die Verlassene und könnte sauer sein." (FF in FG2)

Letztendlich – so der Tenor – sei vom Gericht nicht beurteilbar, wer Schuld trägt. Vielmehr führe ein streitiges Verfahren nach dem Verschuldensprinzip zu hohen Kosten und zusätzlichen Verletzungen, es bringe "alles menschlich Böse" (MB in FG3) auf beiden Seiten hervor, man müsse "um sich schießen" (FC in FG1), sich "ewig drum streiten" (FG in FG2), es würden "Machtspiele" (MD in FG3; FG in FG2) beginnen und ein "schäbiger" (MB in FG3) Kampf ums "Gewinnen" (FH in FG2), um ein Urteil, mit Androhungen, Anschuldigungen, Beweisen und Zeugen, die "aufmarschieren" (FF in FG2), um die Schuld der einen Partei zu beweisen oder die andere Partei zu entlasten. Kinder der Scheidungswilligen wären dabei "natürlich die größten Zeugen, [...aber] sie werden dazwischen zerrieben" (FA in FG1). Auch die teilnehmenden Richter:innen berichten in den Diskussionen von dem Druck, "aus Kleinigkeiten" (RF in FG7) ein Verschulden konstruieren zu müssen und vom Grübeln darüber, was folgt, wenn man "nicht ruhigen Gewissens ein Verschulden feststellen" kann (RD in FG6), weil man nicht "dabei war, [sondern] darauf angewiesen ist, dass zwei Menschen etwas erzählen, durchaus subjektiv gefärbt, logisch" (RG in FG7), und man oft "nicht wirklich sagen [kann], das war jetzt das, was den Vertrag gebrochen hat" (RC in FG6).

Warum das Verschuldensprinzip eine ‚gute‘ Scheidung verhindern kann
Für viele Diskutant:innen ist das Prinzip Schuld selten im Kontext von schweren Eheverfehlungen wie Gewalt relevant geworden; auch verspricht es als Sanktionierung von ehelichen Pflichtverletzungen nicht genügend Genugtuung. Vielmehr scheint es ein Mittel zum Zweck zu sein, einen nachehelichen Ehegattenunterhalt für sich zu erwirken oder diesen nicht zahlen zu müssen. In vielen Fokusgruppen lautet der Tenor daher: "Das Verschulden gehört aus der Scheidung" (RE in FG7).

Der nacheheliche Unterhaltsanspruch richtet sich in der Regel nach dem Verschuldensausspruch (vgl. zum Beispiel § 66 EheG). Mit dem Eherechts-Änderungsgesetz (EheRÄG) 1999 ist dieser Grundsatz jedoch bereits aufgeweicht worden und mit § 68a EheG ein vom Verschulden unabhängiger (aber in seiner Höhe deutlich geringerer) Unterhalt für zwei besondere Bedarfslagen geschaffen worden: Anspruchsberechtigt ist, wem es unzumutbar ist, sich selbst zu erhalten, weil er beziehungsweise sie zum Zeitpunkt der Scheidung für ein gemeinsames Kind sorgt oder weil er beziehungsweise sie während der Ehe die Haushaltsführung oder Kinderbetreuung übernommen hat. Nach den Gesetzesmaterialien treffe "den anderen Ehegatten gewissermaßen eine Mitverantwortung für die Unterhaltsbedürftigkeit seines Ehepartners" und ein Unterhaltsanspruch auch des (überwiegend) schuldigen Teils scheine "ausnahmsweise gerechtfertigt". Viele Stimmen aus der Literatur (z. B. Deixler-Hübner 2016) fordern daher ein gänzliches Entkoppeln des Unterhalts vom Verschulden und die Schaffung eines rein bedarfsorientierten Unterhaltsanspruchs. Das wäre etwa durch die Etablierung und Ausweitung des Unterhaltsanspruchs nach § 68a EheG möglich.

Das Prinzip Schuld wird aber nicht nur wegen dieser Verknüpfung mit dem nachehelichen Unterhalt zu einem "Drohszenario" (MC in FG3). Dieses funktioniert nur, wenn es in der Ehe zu einer geschlechtsspezifischen und ungleichen Verteilung der materiellen Versorgung (durch Erwerbsarbeit) und der immateriellen Sorgearbeit gekommen ist und daraus mangelnde Selbsterhaltungsfähigkeit einer Partei in und nach der Ehe resultiert. Der Großteil der Diskutant:innen geht davon aus, dass der Ehemann die materielle Versorgung übernimmt und die Erwerbstätigkeit auch dann fortführt, wenn die Eheleute Eltern gemeinsamer Kinder werden. Die Ehefrau hingegen würde überwiegend die immaterielle Versorgung, also die Betreuungs- und Beziehungsarbeit mit diesen Kindern übernehmen und ihre Erwerbstätigkeit unterbrechen oder reduzieren. Einerseits finden sich Ehefrauen dementsprechend in einer ökonomisch schwächeren Position wieder, andererseits sind Ehemänner durch diese Aufteilung in einer schwächeren Position, was die Betreuung, den Kontakt und die Beziehung zu ihren Kindern betrifft.

Für die Verteilung der Erwerbs- und Sorgearbeit unter den Ehepartner:innen gibt das Recht keine genaue Anleitung. Als allgemeinen Grundsatz statuiert es die Gleichberechtigung beider Ehepartner:innen (§ 89 Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch – ABGB). Außerdem normiert es das Partnerschaftsprinzip: Ehepartner:innen haben zur Deckung ihrer Bedürfnisse gemeinsam beizutragen (§ 94 ABGB) und sollen ihre eheliche Lebensgemeinschaft einvernehmlich gestalten, insbesondere die Haushaltsführung, die Erwerbstätigkeit, die Leistung des Beistandes und die Obsorge. An der Haushaltsführung haben sie "nach ihren persönlichen Verhältnissen, besonders unter Berücksichtigung ihrer beruflichen Belastung, mitzuwirken." Ein:e nicht erwerbstätige:r Ehegatt:in ist jedoch zur Haushaltsführung verpflichtet; der beziehungsweise die andere hat mitzuhelfen (§ 95 ABGB). Der beziehungsweise die Haushaltsführende hat einen Anspruch auf Unterhalt gegenüber dem beziehungsweise der anderen.

Im Fall von Scheidungen zeigen sich die Grenzen dieser Grundsätze und Normen. Manche Geschiedene erzählen von ihren teilweise erfolglosen Bemühungen während der Ehe, die Arbeitsaufteilung im Einvernehmen egalitärer zu machen. Sie hatten beispielsweise vom Ehemann Kinderbetreuung eingefordert, "du musst jetzt drei Tage auf das Kind schauen, die anderen zwei nehm‘s ich" (FI in FG2). Andere hatten der Ehefrau "jahrelang gesagt, [bitte geh arbeiten], sie hat gesagt, wieso, du verdienst eh so viel" (MC in FG3), oder hatten im Scheidungsverfahren erkannt: "Im Nachhinein war das nicht gut, dass ich mehr arbeiten gegangen bin" (MD in FG3).

Fazit
Die Ergebnisse dieser sozialwissenschaftliche Studie geben differenzierte Antworten auf Fragen des Schwächerenschutzes im Rahmen von Scheidungen. Sie zeigt, wie jene geschlechtsspezifisch ungleiche und vermeintlich einvernehmliche Aufteilung der materiellen und immateriellen Versorgung der Familie beide Parteien in eine jeweils geschlechtsspezifisch schwächere Position drängt. Ein zukunftsgerichtetes österreichisches Scheidungsrecht sollte zumindest den nachehelichen Unterhalt von der Verschuldensfrage entkoppeln. Eine egalitäre Arbeitsaufteilung während der Ehe würde dies jedoch gar obsolet machen, weil dies die Selbsterhaltungsfähigkeit beider Parteien auch nach einer Ehe sicherstellen würde. Dieses Wissen frühzeitig in der Bevölkerung zu etablieren und strukturelle Rahmenbedingungen entsprechend auszugestalten, würde ungleichen Positionen in Scheidungsverfahren und belastenden (streitigen) Verfahren über Scheidungsfolgen vorbeugen und Schwächere frühzeitig schützen. Für Kränkungen und Schuldzuweisungen aufgrund von Eheverfehlungen sollte außerdem die Mediation frühzeitiger, niederschwelliger und erschwinglicher Standard in Scheidungsverfahren werden. 

Dieser Beitrag ist in ähnlicher Form auch in der Interdisziplinären Zeitschrift für Familienrecht (iFamZ) 2024 (5), S. 265–268, erschienen.

Literatur

Bögner, Jakob; Schmidt, Eva Maria (2024): Verhindert das Prinzip Schuld die 'gute' Scheidung? Das österreichische Scheidungsrecht multiperspektivisch analysiert. In: Interdisziplinäre Zeitschrift für Familienrecht (iFamZ) 2024 (5), S. 265–268. rdb.manz.at/document/rdb.tso.LIifamz20240540

Deixler-Hübner, Astrid (2016): Hat der Verschuldensausspruch als Anknüpfungstatbestand für den nachehelichen Unterhalt ausgedient? In: Interdisziplinäre Zeitschrift für Familienrecht (iFamZ) 2016 (4), S. 246 (250).

Kerschner, Ferdinand; Sagerer-Foric, Katharina; Schoditsch, Thomas (2020): Familienrecht. Bürgerliches Recht Band V. Wien: Verlag Österreich. 7. Aufl.

Schmidt, Eva-Maria (2024): Was macht eine 'gute' Scheidung aus? Eine multiperspektivische Analyse der Rechtspraxis im österreichischen Scheidungsrecht. Wien: Österreichisches Institut für Familienforschung (ÖIF-Forschungsbericht 57). DOI 10.25365/phaidra.534

Wagner, Erika (2022): Zivilrecht VI – Familienrecht. Wien: LexisNexis. 5. akt. Aufl.


Autor:innen

Mag. Dr. Eva-Maria Schmidt MA Bakk. ist Soziologin und Senior Scientist am Österreichischen Institut für Familienforschung an der Universität Wien an der Sozialwissenschaftlichen Fakultät.

Mag. Jakob Bögner ist Assistent am Institut für Zivilrecht, Ausländisches und Internationales Privatrecht an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Graz.

Kontakt

eva-maria.schmidt@oif.ac.at