Familiengerichtshilfe

beziehungsweise 3/2025Artikel 2

Evaluierung der Familiengerichtshilfe

Ein erfolgreiches Instrument zur Regelung des Kontaktrechts und der Obsorge

Von Olaf Kapella und Helene Hornung 

Mit der Reform des Kindschafts- und Namensrechtsänderungsgesetztes (KindNamRÄG) wurde den Gerichten 2013 im Bereich der Pflegschaftsverfahren eine Reihe neuer Instrumente zur Verfügung gestellt, unter anderem auch die Familiengerichtshilfe (FGH). Zum zehnjährigen Bestehen der FGH schrieb das Bundesministerium für Justiz (BMJ) im November 2022 eine Evaluierung zur FGH aus. Diese legte besonderen Fokus auf das Wohlergehen von Kindern und Jugendlichen im Rahmen von Pflegschaftsverfahren. Das ÖIF präsentierte ein Konzept für die Evaluierung, das eine Online-Befragung von Expert:innen verschiedener Berufsgruppen vorsah, die in Pflegschaftsverfahren involviert sind. Erstmalig fand in einem solch großen Umfang auch eine Befragung von Eltern statt. Im Rahmen der Studie wurden aus allen im Jahr 2021 und 2022 angefallenen Verfahren rund um Obsorge und Kontaktrecht, in der die FGH involviert und der Antrag zum Verfahren von Eltern gestellt wurde, rund 70 % der Eltern postalisch kontaktiert1  und zur Teilnahme an der Befragung eingeladen. Letztlich gelangten 12 % aller angefallenen Fälle in die Datenanalyse (entspricht einer Rücklaufquote von 23,1 % der kontaktierten Fälle). Beim Design des Fragebogens wurde besonderer Wert auf einen Mix von offenen und geschlossenen Fragen gelegt, womit ein differenzierter und tiefgehender Einblick in die vielfältigen Erfahrungen mit der FGH aus der Perspektive von Expert:innen sowie Eltern möglich war.

Studiensteckbrief
Methode:Online-Fragebogen mit offenen Antwortmöglichkeiten
Grundgesamtheit:Expert:innen: Mitarbeiter:innen der Familiengerichtshilfe (FGH) sowie der Kinder- und Jugendhilfe (KJH), Richter:innen, Sachverständige, Kinderbeistände, Rechtsanwält:innen.

Eltern: haben ein Verfahren zur Obsorge bzw. Regelung des Kontaktrechts im Jahr 2021 bzw. 2022 beendet, in dem FGH involviert war und der Antrag zum Verfahren von Eltern selbst gestellt wurde.
Feldphase:August bis Oktober 2023
Stichprobe: 725 (n) Expert:innen
555 (n) Eltern
(4.642 Fälle entsprachen den Studienkriterien, wovon eine Stichprobe von 3.300 gezogen und angeschrieben wurde. Die Rücklaufquote beträgt 23,1 % der kontaktierten Fälle. Mit vorliegender Datenauswertung wurden somit 12 % aller in Frage kommenden Fälle abgedeckt).

Erfolgreiche Implementierung eines neuen Instrumentes
Mit der Implementierung der FGH war das Ziel verbunden, die Qualität und Nachhaltigkeit der Streitschlichtung und der gerichtlichen Verfahren und Entscheidungen in Angelegenheiten der Obsorge und des Kontaktrechts zu verbessern.

Die Gruppe der Expert:innen sieht in einem hohen Ausmaß einen Einfluss der FGH auf die Qualität von Pflegschaftsverfahren sowie in Bezug auf die Verbesserung der Nachhaltigkeit der Streitschlichtung gegeben. Bei genauerer Betrachtung fällt auf, dass die Rückmeldungen der Expert:innen sich in Bezug auf die Bewertung und den Einfluss der FGH je nach befragter Berufsgruppe unterscheiden. So stellen zum Beispiel Richter:innen, Mitarbeiter:innen der FGH und Mitarbeiter:innen der Kinder- und Jugendhilfe Berufsgruppen dar, die mit der Arbeit der FGH in einem sehr hohen Ausmaß zufrieden sind und einen hohen Einfluss der FGH auf die Verbesserung der Streitschlichtung sowie die Qualität der Verfahren sehen. Richter:innen betonen vor allem auch, dass ihnen mit der FGH ein effizientes Instrument in Pflegschaftsverfahren an die Hand gegeben wurde, das aus ihrer Arbeit nicht mehr wegzudenken ist. Sachverständige beziehungsweise Gutachter:innen sowie Parteienvertreter:innen stellen jene Berufsgruppen dar, die am kritischsten sind.

Die Gruppe der Eltern zeigt sich in der Bewertung und der Zufriedenheit mit der FGH zwiegespalten: Ein Teil der Eltern ist rundum zufrieden mit der Arbeit der FGH, fühlt sich durch diese unterstützt und berichtet in den offenen Antwortkategorien fast ausschließlich Positives. Der andere Teil der Eltern fühlt sich von der FGH alleingelassen und unfair behandelt, kann die Arbeitsweise der FGH nicht nachvollziehen und schildert, dass sich ihre Situation im Nachhinein nur verschlechtert habe. Tiefergehende Analysen zeigen einen starken Zusammenhang zwischen der Bewertung der FGH durch die Eltern und ihrer Zufriedenheit mit dem Ausgang des Verfahrens. Eltern teilen sich diesbezüglich gleichmäßig in drei Gruppen auf: Für jeweils ein Drittel der Eltern entspricht die getroffene Entscheidung ihren eigenen Vorstellungen und Wünschen sehr (32,9 %), teilweise (33,3 %) oder gar nicht (33,9 %). Es zeigt sich grundsätzlich, dass jene Eltern, die ihre Vorstellungen und Wünsche nicht realisiert sehen, in der Bewertung der FGH kritischer sind, und umgekehrt zufriedene Eltern auch eine positivere Bewertung der FGH abgeben.

Belastung von Kindern und Jugendlichen in und durch Pflegschaftsverfahren
In Pflegschaftsverfahren sind die Gerichte dazu angehalten, das "Wohl des Kindes als leitenden Gesichtspunkt zu berücksichtigen und bestmöglich zu gewährleisten", wie § 138 des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches (ABGB) festhält. Die Gerichte stehen somit vor der Herausforderung, mit der besonderen Vulnerabilität von Kindern und Jugendlichen umzugehen. Die Analyse der vorliegenden Daten bestätigt sowohl aus der Sicht von Eltern als auch Expert:innen, dass Pflegschaftsverfahren eine Belastung für Kinder und Jugendliche darstellen. Die Auswertung zeigt auch, dass bei beiden Befragtengruppen ein hohes Problembewusstsein für die Belastungen von Kindern und Jugendlichen herrscht. Die Befragten nennen auf sehr differenzierte und reflektierte Weise diverse Belastungen von Kindern und Jugendlichen, die sie im Rahmen von Pflegschaftsverfahren wahrnehmen. Diese können primär drei Kategorien zugeordnet werden:

1. Konkrete Symptome, wie zum Beispiel diverse Ängste, Loyalitätskonflikte, psychische Belastungen, Schulschwierigkeiten;

2. Konkretes elterliches Verhalten, zum Beispiel Streit der Eltern vor den Kindern, Manipulation und Beeinflussung beziehungsweise die Instrumentalisierung des Kindes durch die Eltern;

3. Das Pflegschaftsverfahren als Faktor selbst, wie zum Beispiel die Befragung der Kinder beziehungsweise der Jugendlichen, Mehrfachbefragungen, lange Dauer des Verfahrens.

Rund die Hälfte der Eltern nimmt auch konkret nach Abschluss des Verfahrens neue Belastungen von Kindern und Jugendlichen wahr, ähnlich zu den eben beschriebenen. Aus Sicht von Expert:innen ist die FGH durchaus dazu geeignet, eben dieses Problembewusstsein der Eltern in Bezug auf die Situation und die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen im Rahmen von Pflegschaftsverfahren positiv zu verändern. Auch Eltern finden, dass sich ihr Problembewusstsein im Laufe des Verfahrens verändert hat und reflektieren teilweise über die Situation des Kindes im Zusammenhang mit ihrer eigenen Situation.

Im Rahmen ihres Tätigkeitsbereiches hat die FGH konzeptionell das Potenzial, auf das Wohlergehen von Kindern und Jugendlichen einzuwirken, zum Beispiel durch ihre Kind-Zentriertheit, die Anwendung des Vier-Augen-Prinzips, die interdisziplinär besetzten Teams oder die Möglichkeit, sich die Zeit für Gespräche mit Kindern und Eltern zu nehmen. Aus dem Blickwinkel der Expert:innen wird das Potenzial der FGH, im Rahmen eines Verfahrens auf die Entwicklungsbedingungen von Kindern und Jugendlichem einzuwirken, durchaus bestätigt. Aus der Perspektive der Eltern hingegen ist der subjektiv wahrgenommene Einfluss der FGH auf die Veränderung der abgefragten Entwicklungsbedingungen von Kindern und Jugendlichen eher gering beziehungsweise nicht gegeben. Dafür sehen Eltern andere Faktoren als wirkmächtiger, zum Beispiel die elterliche Situation beziehungsweise die Beziehung der Eltern untereinander, die eigene Reflexion und veränderte Haltung, andere Fachkräfte und Institutionen, die involviert sind oder den Kontaktabbruch eines Elternteils im Rahmen des Verfahrens.

Spezifischer Modifikationsbedarf trotz gelungener Implementierung
Auch wenn mit der Implementierung der FGH die damit verbundenen Zielsetzungen grundsätzlich erreicht wurden, zeigt sich auf Basis der vorliegenden Daten ein Modifikations- beziehungsweise ein Nachschärfungsbedarf auf unterschiedlichen Ebenen. Auf Basis der Analyse kann unter anderem folgender Modifikationsbedarf beschrieben werden: Klarer kommunizierte Abgrenzung der unterschiedlichen Fachkräfte und Institutionen, die im Rahmen von Pflegschaftsverfahren zum Einsatz kommen sowie bei der Beauftragung der FGH, einerseits, um mehr Transparenz bei Fachkräften und Eltern zu erreichen, andererseits, um diversen Rollenzuschreibungen der FGH vorzubeugen, damit keine falschen Erwartungshaltungen bei Eltern entstehen.

Die Daten verdeutlichen weiters, dass bei einem Teil der Eltern sich nicht beide Elternteile beziehungsweise beide mit der Obsorge betrauten Personen von der FGH beziehungsweise vom Gericht gleichermaßen gehört und ernstgenommen fühlen. Somit ist in diesen Fällen auch in Frage gestellt, ob das Wohlergehen der Kinder im Rahmen von Pflegschaftsverfahren sichergestellt werden kann. Um also der Verpflichtung gerecht zu werden, im Rahmen von Pflegschaftsverfahren das Wohlergehen aller Kinder und Jugendlichen sicherzustellen, unabhängig von der Persönlichkeit und vom Konfliktpotenzial ihrer Eltern, sind verstärkte Bemühungen seitens des Gerichts und der FGH nötig, um möglichst alle Eltern so anzusprechen, dass diese sich in ihren Bedürfnissen ernst genommen fühlen.

Einen weiteren zentralen Bereich, in dem es einer Anpassung bedarf, stellt der Ausbau der personellen Ressourcen bei der FGH sowie beim Gericht dar, um unter anderem die bestehende Qualität aufrechtzuerhalten und auszubauen, die Verfahrensdauer nicht unnötig zu verlängern, immer komplexer werdenden Fällen gerecht zu werden sowie die Kooperation mit anderen Institutionen beziehungsweise Expert:innen zu intensivieren.

Die FGH hat in den letzten zehn Jahren ihres Bestehens einen festen Platz im Rahmen von Pflegschaftsverfahren eingenommen. Die angesprochenen Modifikationen würden die FGH umfassender darin unterstützen, das Kindeswohl in Pflegschaftsverfahren im weitesten Sinne sicherzustellen und die Nachhaltigkeit der Streitschlichtung zu gewährleisten.
___

1 Um Eltern postalisch kontaktieren zu können, wurde durch das BMJ ein Antrag bei der Datenschutzbehörde zur Verwendung der Postadressen von Eltern gestellt, über welchen positiv mittels Beschluss der Datenschutzbehörde entschieden wurde (GZ: D202.324 2023-0.282.386).


Studie zum Download

Kapella, Olaf; Hornung, Helena; Baierl, Andreas (2024): Evaluierung Familiengerichtshilfe. Darstellung der Forschungsergebnisse und Empfehlungen. Wien: Österreichisches Institut für Familienforschung (ÖIF-Forschungsbericht 56). DOI 10.25365/phaidra.533


Autor:innen

Dr. Olaf Kapella ist Sozialpädagoge und wissenschaftlicher Mitarbeiter und Forschungskoordinator am Österreichischen Institut für Familienforschung (ÖIF) an der Universität Wien. Seine Forschungsschwerpunkte umfassen Gewaltforschung, Männer- und Väterforschung, Prävention und Sexualpädagogik, Evaluationsforschung, Familienpolitik im internationalen Vergleich, Familie und digitale Technologien.

Helena Hornung MA ist Anthropologin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Österreichischen Institut für Familienforschung (ÖIF) an der Universität Wien. Ihre Mitwirkung an Forschungsprojekten umfasst unter anderem Gefährdungsabklärung im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe aus der Perspektive von Jugendlichen, Evaluierung der Kinder- und Jugendhilfe Vorarlberg und Evaluierung der Familiengerichtshilfe.

Kontakt

olaf.kapella@oif.ac.at