beziehungsweise 3/2025Artikel 3

Wie viel Sorgearbeit leisten Familien in Österreich?

Eine familienwissenschaftliche Sicht auf Basis der Zeitverwendungserhebung 2021/22

Von Andreas Baierl 

Im Sinne des Doing Family-Ansatzes nimmt die Care-Arbeit, die die Familie leistet, eine fundamentale Rolle ein: In diesem Verständnis ist Familie nicht, sondern wird hergestellt. Das Ausmaß und die Aufteilung der Sorge- bzw. Care-Arbeit innerhalb der Familie, aber auch zwischen Familie und Institutionen wie Kindergärten, Ganztagsschulen, Pflegeheimen etc. stehen im Zentrum gesellschaftspolitischer Diskussionen und Entwicklungen. 

Die Zeitverwendungserhebung
Um Care-Arbeit in der Familie sichtbar und messbar zu machen, hat sich die Analyse von Zeitverwendungsdaten etabliert, die von der Europäischen Union über Eurostat in Form der Harmonized European Time Surveys (HETUS) zur Verfügung gestellt werden. Dabei handelt es sich um nationale Erhebungen der europäischen Länder, die erfassen, wie viel Zeit die Menschen für verschiedene Aktivitäten aufwenden. Im Rahmen der aktuellen Erhebung für Österreich aus dem Jahr 2022 dokumentierte jede:r Respondent:in an zwei getrennten Tagen jeweils 144-mal, das heißt für Zeitintervalle von zehn Minuten, welcher hauptsächlichen Aktivität und ggf. welcher Nebenaktivität sie nachgegangen ist und ob die Hauptaktivität allein oder mit anderen Personen, zum Beispiel den eigenen Kindern, durchgeführt wurde.1 Für die Angabe der Aktivität stand eine Liste von über 100 vordefinierten Kategorien zur Auswahl, die zu zwei übergeordneten Kategorie-Ebenen zusammengefasst werden. 

Direkte und unterstützende Care-Arbeit
Klassischerweise werden die care-relevanten Aktivitäten zur Zeitverwendung in direkte und unterstützende Care-Arbeit eingeteilt. Zur direkten Care-Arbeit zählen Aktivitäten der Kinderbetreuung sowie Hilfeleistungen für ein erwachsenes Haushaltsmitglied einschließlich aller damit verbundenen Wegzeiten. Als unterstützende Care-Arbeit werden die Aktivitäten der Sorgearbeit in Haushalt und Familie sowie die Freiwilligentätigkeit inklusive aller damit verbundenen Wegzeiten erfasst (vgl. Klünder 2017). Es spielt keine Rolle, ob die unterstützenden Aktivitäten oder andere Aktivitäten mit anderen Personen, zum Beispiel dem eigenen Kind, ausgeführt werden oder nicht. 

Die vorliegende Analyse geht über die klassische Herangehensweise hinaus. Um sich dem realen Ausmaß der geleisteten Care-Arbeit in Privathaushalten mit minderjährigen Kindern besser anzunähern und Aspekte der Care-Arbeit wie zum Beispiel die mentale und emotionale Arbeit berücksichtigen zu können, wird die Definition der Care-Arbeit folgendermaßen erweitert:

- Für die Berechnung der direkten Care-Arbeit werden zusätzlich alle Aktivitäten berücksichtigt, die gemeinsam mit mindestens einem eigenen Kind durchgeführt werden. Es erscheint nicht sinnvoll, Aktivitäten wie Gesellschaftsspiele, Sport, Gartenarbeit oder die Pflege sozialer Kontakte, die gemeinsam mit eigenen Kindern ausgeübt werden, nicht als direkte Betreuungsarbeit zu werten. So ist davon auszugehen, dass zum Beispiel gemeinsame Gartenarbeit, Filme schauen oder auch gemeinsame Spaziergänge bewusste und auf das Kind oder die Kinder ausgerichtete Aktivitäten darstellen. Sie sind als eine Form der Kinderbetreuung zu begreifen und damit als direkte Care-Arbeit zu erfassen.

- Tätigkeiten, die unter die Kategorie „Digitale Anwendungen“ fallen, zu denen das Programmieren, Installieren und Konfigurieren sowie Internetrecherche zählt, werden klassischerweise der Kategorie „Hobbys“ zugeordnet. Angesichts der nahezu allgegenwärtigen Digitalisierung von Familien (vgl. Kapella u. a. 2022) erscheint es nicht mehr zeitgemäß, diese Aktivitäten nicht als unterstützende Care-Arbeit zu bewerten. Wenn die Aktivität mindestens mit einem eigenen Kind durchgeführt wird, erfolgt die Zuordnung als direkte Care-Arbeit.

- Ebenso wird die Aktivität Essen und Trinken der direkten Care-Arbeit zugeordnet, wenn sie gemeinsam mit einem eigenen Kind durchgeführt wird.

Ergebnisse
In der Abbildung wird der jeweils tägliche Zeitaufwand für Aktivitäten von Personen unter 65 Jahren, die mit Partner:in im Haushalt leben auf Basis der österreichischen Zeitverwendungsdaten für das Jahr 2022 dargestellt. Es wird zwischen Männern und Frauen und Haushalten unterschieden, in denen das jüngste Kinder unter sechs Jahre alt ist, in denen das jüngste Kind zwischen sechs und 14 Jahre alt ist und Haushalten, in denen kein minderjähriges Kind lebt. 

Darstellung der im Text genannten Daten

Abbildung: Durchschnittliche Stunden pro Tag nach Aktivität

Quelle: Zeitverwendungserhebung 2021/22 Österreich, eigene Berechnungen und Darstellung.

Das Ausmaß der täglichen direkten Care-Arbeit unterscheidet sich stark zwischen den Gruppen: Frauen mit Kindern unter sechs Jahren wenden mit gut 9½ Stunden bei weitem am meisten Zeit für direkte Care-Arbeit auf. Bei Männern liegt der Wert ähnlich hoch wie bei Frauen mit 6- bis 14-jährigen Kindern, und zwar bei ca. sechs Stunden pro Tag. Männer mit 6- bis 14-jährigen Kindern wenden knapp vier Stunden direkte Care-Arbeit auf. Bei Paaren ohne Kinder ist das Ausmaß der direkten Care-Arbeit vernachlässigbar. Einzelne Befragte, die zum Beispiel Eltern betreuen, können natürlich stark von den dargestellten Mittelwerten abweichen. 

Die unterstützende Care-Arbeit, zu der Haushaltsführung und Freiwilligenarbeit zählen, ist bei weitem ausgewogener verteilt. Bei Paaren mit älteren Kindern und bei Paaren ohne Kinder ergeben sich höhere Werte, da vermehrt Tätigkeiten in Abwesenheit von Kindern ausgeführt werden und die somit aus der Kategorie der direkten Care-Arbeit herausfallen. 

Informativ ist die Betrachtung der Summe der produktiven Tätigkeiten, zu denen direkte und indirekte Care-Arbeit sowie Erwerbsarbeit zählen. Hier ergeben sich für Paare mit Kindern unabhängig vom Geschlecht sehr ähnliche Werte von ca. zwölf Stunden pro Tag.2 Das heißt, die Differenz im Ausmaß der Care-Arbeit zwischen Frauen und Männern entspricht in etwa der Differenz im Ausmaß der Erwerbsarbeit. Gänzlich anders stellt sich die Summe der produktiven Tätigkeiten bei Paaren ohne Kinder im Haushalt dar: Hier wenden Frauen und Männer jeweils 7¼ Stunden gemittelt über die gesamte Woche auf.

Verschiebung von Care- und Erwerbsarbeit
Die Frage, ob eine Verschiebung des Erwerbsausmaßes zwischen den Elternteilen nun auch zu einer Verschiebung im Bereich der Care-Arbeit führen würde, erscheint vor diesem Hintergrund besonders relevant. Bei den bisherigen Analysen wurden Mittelwerte über alle erhobenen Paarhaushalte gebildet und gegenübergestellt. Auf Basis der dargestellten Mittelwerte lässt sich die obige Fragestellung nicht beantworten. Die Mittelwerte setzen sich jedoch aus vielen Einzelbeobachtungen zusammen, die eine breite Palette an Aufteilungen zwischen Erwerbs- und Care-Arbeit dokumentieren. Da immer alle Mitglieder eines Haushalts an denselben beiden Tagen das Tagebuch befüllen, können die Angaben der Paare direkt gegenübergestellt werden.3

Insgesamt zeigt sich ein starker, negativer Zusammenhang zwischen den Differenzen der Erwerbsarbeit und der Care-Arbeit. Der Korrelationskoeffizient beträgt –0,8, wobei 0 keinen Zusammenhang bedeutet und –1 einen perfekt negativen Zusammenhang. Das bedeutet: Je mehr Stunden die Frau im Vergleich zu ihrem Partner an einem bestimmten Tag mit Erwerbsarbeit verbringt, umso weniger Zeit verbringt sie, im Vergleich zu ihrem Partner, mit Care-Arbeit. Die Frage, ob eine Verschiebung des Erwerbsausmaßes zwischen zwei gegengeschlechtlichen Elternteilen eines Haushalts mit Kindern unter sechs Jahren auch zu einer Verschiebung im Bereich der Care-Arbeit führt, kann mit ja beantwortet werden. 

Darüber hinaus
Neben den Aktivitäten, die einen Tag ausfüllen, kommt parallel dazu die kognitive und emotionale Arbeit hinzu, die die jeweiligen Tätigkeiten mal mehr oder weniger bewusst begleitet. Diese kognitive und emotionale Arbeit umfasst für die Person positive als auch negative, also belastende, Aspekte. Auch diese Dimensionen müssen in der Diskussion und der empirischen Erfassung der Care-Arbeit stärker berücksichtigt werden.

Care ist ein zentraler Teil in der täglichen Herstellung von Familie, die zu einer starken emotionalen Bindung untereinander führt, ein ‚Wir-Gefühl‘ herstellt und viele positive Aspekte für Familienmitglieder hat. Dies sollte nicht aus dem Blick gelassen werden.
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1 Näheres siehe z. B. Webseite von Eurostat https://ec.europa.eu/eurostat/web/time-use-surveys/information-data oder dem Zentrum für Time Use Research: https://timeuse.org/
2 Dieser Wert ist ein Mittelwert über die gesamte Woche und bezieht sich nicht nur auf Werktage.
3 Für diese Analyse wurden nur gegengeschlechtliche Paare mit Kindern unter sechs Jahren berücksichtigt.

Dieser Beitrag beruht auf dem Artikel: Baierl, Andreas; Kapella, Olaf (2024): Sorgearbeit sichtbar machen. Eine familienwissenschaftliche Perspektive auf die Quantifizierung der Care-Arbeit mit Analysen der Zeitverwendungserhebung 2021/2022 für Österreich. In: Gruber-Risak, Martin; Kapella, Olaf; Brodil, Wolfgang; Windisch-Graetz, Michaela (Hg.): Gesellschaft im Wandel – Zukunft gestalten: Festschrift für Wolfgang Mazal. Wien: Facultas, S. 439–456.

 

Literatur

Kapella, Olaf; Schmidt, Eva-Maria; Vogl, Susanne (2022): Integration of digital technologies in families with children aged 5–10 years. A synthesis report of four European country case studies. (DigiGen Workingpaper 8). DOI 10.5281/zenodo.6411126 

Klünder, Nina (2017): Differenzierte Ermittlung des Gender Care Gap auf Basis der repräsentativen Zeitverwendungsdaten 2012/13. Berlin: Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik e. V., Geschäftsstelle Zweiter Gleichstellungsbericht der Bundesregierung, 2017.


Autor

Dr. Andreas Baierl ist Statistiker am Österreichischen Institut für Familienforschung mit den Schwerpunkten Planung und Analyse empirischer Studien, Vereinbarkeit von Familie und Erwerb und Kinderbildung und -betreuung. 

 

Kontakt

andreas.baierl@oif.ac.at